Der DFB im Dritten Reich - die Fragwürdigkeit der widerstreitenden Positionen

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Bibliographische Detailangaben
Autor:Havemann, Nils
Erschienen in:Der lange Weg zur Bundesliga : zum Siegeszug des Fußballs in Deutschland
Veröffentlicht:Münster: Lit-Verl. (Verlag), 2004, S. 113-125, Lit.
Format: Literatur (SPOLIT)
Publikationstyp: Sammelwerksbeitrag
Medienart: Gedruckte Ressource
Sprache:Deutsch
Schlagworte:
Online Zugang:
Erfassungsnummer:PU200501000166
Quelle:BISp

Abstract

Die Diskussion über das Verhältnis zwischen dem DFB und dem Nationalsozialismus kam im Grunde erst im Vorfeld des 100. Geburtstages des Verbandes in Gang. Dabei kristallisierten sich hinsichtlich der Beurteilung der Rolle des DFB im „Dritten Reich“ zwei vollkommen entgegengesetzte Tendenzen heraus. Auf der einen Seite positionierte sich Arthur Heinrich mit seinem im Jahr 2000 erschienenen Buch „Der Deutsche Fußballbund: Eine politische Geschichte“ (Köln), in dem er die These vertritt, dass 1933 bei den allermeisten DFB-Funktionsträgern eine „beträchtliche Schnittmenge eigener Einstellungen mit nationalsozialistischer Weltanschauung“ bestanden habe. Dies habe dazu geführt, dass der DFB „den ‚Führer’ und sein ‚Tausendjähriges Reich’ als den langersehnten Aufbruch Deutschlands willkommen“ geheißen habe. Selbst 1939 noch habe „die komplette Führungsriege des deutschen Fußballs“ aus NSDAP-Mitgliedern bestanden, „die immer ihre Verlässlichkeit und Treue demonstrierten“. Ein besondere Schwäche des Buchs von Heinrich ist Verf. zufolge die dürftige Quellenbasis, auf die er seine Thesen stützt. Ähnlich problematisch wie Heinrichs These von der nationalsozialistischen Gesinnung des DFB erscheint laut Verf. auch die entgegengesetzte Position von Karl-Heinz Schwarz-Pich, der in seinem Buch „Der DFB im Dritten Reich: Einer Legende auf der Spur“ (Kassel, 2000) die Vorstellung vom DFB als einem willigen Werkzeug des NS-Regimes als eine „Legende“ bezeichnet. In der Arbeit von Schwarz-Pich sieht Verf. insofern einen Fortschritt, als der Autor die Geschichte nicht rückwärts betrachtet, sondern sich in die Perspektive der Akteure hineinzuversetzen versucht. Dabei kommt dem Buch zugute, dass es nicht nur auf der Auswertung der zeitgenössischen Presse, sondern auch auf zahlreichen Dokumenten beruht, die zuvor noch nicht benutzt worden waren: im Wesentlichen auf den Entnazifizierungsakten von Herberger, Linnemann und dem ersten deutschen Reichstrainer Otto Nerz sowie den Nachlässen von Herberger und Nerz. Fragwürdig ist Verf. zufolge allerdings der Umgang mit dem Quellenmaterial. So gehen Schwarz-Pichs Bemühungen, die historische Entwicklung aus dem speziellen Blickwinkel der Beteiligten zu betrachten, so weit, dass er ihre Äußerungen und Einlassungen zu und aus dieser Zeit nahezu kritiklos übernimmt. Insgesamt ist Verf. der Meinung, dass weder die Thesen von Heinrich noch die von Schwarz-Pich zu überzeugen vermögen. Ein neuer Versuch, die Geschichte des DFB im „Dritten Reich“ darzustellen, muss an der Quellenbasis, der Schwachstelle der Arbeiten von Heinrich und Schwarz-Pich, ansetzen. Nur wenn es gelingt, zumindest einen Teil des DFB-Schriftverkehrs aus der damaligen Zeit zu rekonstruieren sowie Personalakten und Nachlässe führender DFB-Repräsentanten zu erschließen, ist eine zuverlässige Bewertung möglich. Schiffer (unter Verwendung wörtlicher Textpassagen)