Fußball als Spiel der symbolischen Macht

Gespeichert in:
Bibliographische Detailangaben
Autor:Gebauer, Gunter
Erschienen in:Querpässe. Beiträge zur Literatur-, Kultur- und Mediengeschichte des Fußballs
Veröffentlicht:Heidelberg: Synchron Wiss.-Verl. (Verlag), 2003, S. 91-101, Lit.
Format: Literatur (SPOLIT)
Publikationstyp: Sammelwerksbeitrag
Medienart: Gedruckte Ressource
Sprache:Deutsch
Schlagworte:
Fan
Online Zugang:
Erfassungsnummer:PU200501000146
Quelle:BISp

Abstract

Im Fußball kommen die Zuschauer nur im Plural vor. Offenkundig haben sie den Stand des Individuums noch nicht erreicht; sie treten als die Vielen, als Menge, Horde oder Masse auf. Gemeinschaften wie die der Fußballfans haben ihren Ursprung darin, dass in den üblichen sozialen Beziehungen Individuen mit Emotionen und Bedeutungen aufgeladen werden, die sie weit über den Alltag erheben. Die Veränderungen ereignen sich in Handlungen mit ritualisiertem Charakter, zu festgelegten Zeitpunkten, an typischen Orten und in zyklischen Wiederholungen, die von den Einzelnen freiwillig zusammen mit den anderen vollzogen werden. Aus gemeinsamen Begegnungen entsteht ein Zustand des Glaubens, nämlich dadurch, dass dem Körper eine bestimmte äußere Form gegeben wird, die eine innere Haltung hervorruft, also genau andersherum, als man es sich normalerweise vorstellt. Der erste Schritt bei der Erzeugung eines quasi-religiösen Glaubens bei Fußballfans ist die Transformation von ursprünglich normalen Gesellschaftsmitgliedern in eine durch gemeinsame Handlungen und Gefühle geeinte Gemeinschaft, die durch vertiefte Beziehungen, Gemeinsamkeit der Handlungen und Ziele sowie durch ein Zusammengehörigkeitsgefühl hervorgehoben ist. Die Fußballfans leben ihre Religion der Mobilisierung in einer energetischen Welt. Die geheime Triebfeder der Fangemeinschaft, die Moralisierung des Verhaltens, bringt die Fans dazu, sich gemeinsam zu bewegen, anzufeuern, zu singen und die eigene Mannschaft für gut, die Gegner für schlecht zu erklären. Sie gibt jedem einzelnen Mitglied das Gefühl, ausgezeichnet zu sein, dem Verein zu dienen, sich in die Gemeinschaft einzuordnen, den vorgesehenen Rang einzunehmen und die damit verbundenen Verpflichtungen zu erfüllen. Auf diese Weise wird die Gemeinschaft groß und so wächst ihre Macht. Die Gemeinschaft ist der Zusammenschluss vieler Mitglieder zu einem großen Wesen, das mehr, höher und mächtiger ist als die einzelnen Subjekte. Wer innerhalb der Grenzen der Gemeinschaft lebt, nimmt Platz in einer Über-Person, die er gemeinsam mit den anderen bildet. Dieses überpersönliche Gebilde ist die „eine“ entscheidende Instanz des religiösen Lebens im Sport und in der Popkultur; sie ist eine Art Selbstschöpfung als höheres Wesen. Im Vergleich zu traditionellen Institutionen sind diese Gemeinschaften auf eine Beteiligung ihrer Mitglieder hin angelegt. Was die Gemeinschaft ist bzw. was sie sein soll, entscheidet sich im gemeinsamen Handeln; es ist nicht von vornherein definiert, sondern ständig im Fluss. Obwohl die Fußball-Gemeinschaft ein Zerrspiegel ist, zeigt dieser mit großen Übertreibungen die Umrisse von sozialen Gebilden, die Erfahrungen von Selbst und Gemeinschaft möglich machen. Schiffer (unter Verwendung wörtlicher Textpassagen)