Endspiel : Über Fußball, Krieg und Gewalt

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Autor:Muno, Wolfgang
Erschienen in:Abseits denken : Fußball in Kultur, Philosophie und Wissenschaft
Veröffentlicht:Kassel: Agon-Sportverl. (Verlag), 2004, S. 162-174, Lit.
Format: Literatur (SPOLIT)
Publikationstyp: Sammelwerksbeitrag
Medienart: Gedruckte Ressource
Sprache:Deutsch
Schlagworte:
Online Zugang:
Erfassungsnummer:PU200501000132
Quelle:BISp

Abstract des BISp

Ähnlichkeiten zwischen Fußball und Krieg werden oft festgestellt, schon die Sprache des Fußballs ist kriegerisch. Fußball ist aber auch Ersatzkrieg, ein symbolischer Krieg, stellvertretend für gesellschaftliche Konflikte, Fortsetzung des Krieges mit anderen Mitteln. 1969 war der Krieg sogar die Fortsetzung des Fußballspiels mit anderen Mitteln, als El Salvador und Honduras ihre sportliche Auseinandersetzung auf dem realen Schlachtfeld fortsetzten. Eine Ursache für die Affinität zwischen Fußball und Krieg sehen Kritiker im brutalen Charakter der Sportart. In der Tat war das Fußballspiel in sein Anfängen ein wüstes, derbes und gewalttätiges Spiel. Es wurde gehauen, gestochen, getreten und geprügelt. Dieser Volksfußball, bei dem in England oft ganze Dörfer gegeneinander antraten, geriet im 18. und 19. Jahrhundert mehr und mehr in Vergessenheit. Retter des Fußballs wurden die englischen Public Schools. Der Fußball wurde geordneter, geregelter und zivilisierter. 1846 legte die Schule in Rugby erstmals ein schriftliches Regelwerk vor, 1849 folgte Eton mit einem eigenen Regelwerk, das das Handspiel verbot. Die englischen Gentlemen brachten den Sport in die Welt und so war Fußball zunächst ein Gentlemen-Sport, ein Zeitvertreib für Gebildete und Betuchte. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts eroberten die Arbeiter den Fußball für sich. Dies führte wieder zu einer Verschärfung des Spiels. Auf dem Platz ging es ab jetzt nicht mehr nur um Fairplay, das Spiel wurde durch die Einführung des Profitums zur sozialen Aufstiegschance. Fußball wurde erneut zum Massenspektakel, die Brutalität fand aber jetzt aber vor allem unter den Zuschauern statt. In Deutschland trug der Erste Weltkrieg zur Popularisierung des Fußballs in der Arbeiterschaft bei. Wesentlich besser als das stupide, auf Kadavergehorsam ausgerichtete Turnen war das Fußballspiel geeignet, um auf die Erfordernisse moderner Kriegsführung vorzubereiten. Fußball diente im Ersten Weltkrieg nicht nur der Wehrertüchtigung, sondern auch der Hebung der Kampfmoral. Aber Fußball konnte im Ersten Weltkrieg auch eine ganz andere Funktion haben. Berühmt ist beispielsweise die Geschichte eines Fußballspiels zwischen Deutschen und Engländern während des weihnachtlichen Waffenstillstandes 1914. Am Abend des 24. Dezember 1914 schwiegen an vielen Abschnitten der Westfront die Waffen. Stattdessen sangen englische und deutsche Soldaten gemeinsam Weihnachtslieder über die Schützengräben hinweg. Es kam zu Verbrüderungsszenen, Gefallene wurden gemeinsam begraben, schließlich verabredeten sich Hunderte von Soldaten zum gemeinschaftlichen Fußballspiel. Leider hielt der „kleine Fußballfrieden“ nur einige Tage, dann ging der Krieg weiter. In dem Maße, wie Fußball Proletariersport wurde, stieg die Gewalttätigkeit am Rande der Stadien. Die Gewalt wurde zum Teil des Spiels, sie artete allerdings aufgrund der Regeln nicht mehr aus wie in den Anfängen des Fußballs, sondern schwappte nun auf die Zuschauerränge über. Die proletarische Fußballgewalt eroberte sich den Volksfußball zurück. Handelte es sich dabei zunächst um relativ harmlose Prügeleien auf den Rängen, so wurde durch das Auftreten neuer Hooligans die Randale zum nostalgisch-folkloristischen Beiwerk. Für die neuen Hooligans ist Gewalt zum Selbstzweck geworden. Während Fußballmannschaften auf dem Spielfeld symbolisch die Formen der alten Kriege übernommen haben, führen die Hooligans neue Kriege. Fazit: Fußball kann lokale, regionale und nationale Identitäten konstruieren, am Leben erhalten, (wieder) erwecken oder festigen. Fußball kann gesellschaftliche Konflikte befördern oder sublimieren, er kann auch zwischenstaatliche Kriege ausbrechen lassen (Beispiel: El Salvador – Honduras). Er kann aber auch Frieden stiften wie 1914 oder zu einem globalen, friedlichen Happening führen, wie die Fußball-WM 2002 gezeigt hat. (Schiffer) (unter Verwendung wörtlicher Textpassagen)