Ethik und Ästhetik des olympischen Sports

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Bibliographische Detailangaben
Autor:Gerhardt, Volker
Erschienen in:Gibt es eine eigene Ethik des olympischen Sports? : DOI-Symposium am 26. und 27. Januar 2000
Veröffentlicht:Köln: Sport u. Buch Strauß (Verlag), 2001, S. 11-28, Lit.
Herausgeber:Deutsches Olympisches Institut
Format: Literatur (SPOLIT)
Publikationstyp: Sammelwerksbeitrag
Medienart: Gedruckte Ressource
Sprache:Deutsch
Schlagworte:
Online Zugang:
Erfassungsnummer:PU200402000376
Quelle:BISp

Abstract

Verf. definiert und differenziert Moral und Ethik folgendermaßen: Wer sein möchte, wie er - nach besten Kräften - ist, und dabei - wie es sich eigentlich von selbst versteht - konsequent sein möchte, der stellt sein Leben unter den Anspruch der Moral. Mit der exemplarischen Beschreibung eines solchen Wesens ist der Ausgangspunkt für eine Ethik markiert. Unter Ethik versteht Verf. nämlich die Lehre von der Verfassung, die sich das Individuum selbst zu geben und zu bewahren sucht. Dass Moral letztlich nichts anderes als selbstbewusste Sicherung der Individualität ist, bedeutet für eine Ethik des Sports Folgendes: 1. Der Sport bietet die ideale Realität des moralischen Handelns, weil er sich in offensichtlicher Weise auf Regeln gründet, also nur unter Wahrung und Sicherung der Regeln sinnvoll ist. 2. Diese Regeln stehen zwar in den meisten Fällen fest, sie können aber auch neu ge- und erfunden werden. Für die exemplarische Bedeutung des Sports ist ausschlaggebend, dass die Regeln ihren Sinn nur in ihrer freiwilligen Befolgung entfalten. Die Grundlegungsfrage der Ethik, ob es Freiheit gibt, oder ob es sie nicht gibt, hat im Sport immer schon eine praktisch wirksame, den Akteur überzeugende Antwort gefunden. 3. Auch die Frage nach der Vereinbarkeit von Individualität und Gemeinschaft ist im Sport immer schon vorab beantwortet: Jeder muss sein Bestes geben, aber es zählt nur im Vergleich mit seinesgleichen. Im Sport kann sich Individualität folglich nur im ausdrücklich sozialen Bezug entfalten. 4. Zum exemplarischen Feld des moralischen Handelns wird der Sport auch dadurch, dass die Individualität., die jemand in der sportlichen Konkurrenz zu zeigen und zu wahren sucht, nur in Ausnahmefällen Ausdruck seiner ganzen Identität ist. Er ist nur so lange Sportler, als er seinen Sport betreibt., Folglich zeigt sich am Sport mit besonderer Deutlichkeit, dass ein individueller Selbstbegriff eine durchaus partikulare Totalität sein kann. 5. Im Sport ist die Lage auch dadurch exemplarisch, dass der Konflikt, der zur moralischen Frage führt, systematisch angelegt ist. Der Sport ist das Feld selbst gewählter und auch insofern ausgesuchter moralischer Bewährung. Er bietet das einzige Terrain für ein ernsthaftes moralisches Experiment. 6. Darin liegt die besondere Bedeutung des olympischen Sports: Wenn es gerade unter diesen Bedingungen, unter denen es um viel geht, gelingt die Regeln zu wahren und jeden Einzelnen im Bewusstsein seiner Selbstachtung als Sportler teilnehmen und siegen zu lassen, dann ist nicht nur eine große moralische Aufgabe an die Organisatoren und an die konkurrierenden Teilnehmer gestellt, sondern eine weitere exemplarische Funktion des Sports erfüllt. 7. Komplexe Gesellschaften können nur bestehen, wenn sie ihre jeweiligen Teilbereiche stabilisieren. Der olympische Sport partizipiert an allen Teilbereichern des gesellschaftlichen Lebens. Wenn es ihm gerade unter den extrem anspruchsvollen globalen Bedingungen gelingt, bei seinen erklärten Zielen zu bleiben und sich als Sport zu behaupten, liegt darin eine exemplarische Leistung für den Zusammenhang der komplexen gesellschaftlichen Gebilde überhaupt. 8. Die Ethik ist seit Sokrates in Gefahr, ihre steuernde Instanz, also die Seele, die Vernunft, das Gewissen oder das wache Regelbewusstsein zu entmaterialisieren. Im Sport kann diese Spiritualisierung gar nicht erst aufkommen, weil man in ihm nur unter vollem Einsatz der eigenen körperlichen Kräfte erfolgreich sein kann. 9. Der sportliche Vollzug kann angemessen nur in seiner ästhetischen Qualität begriffen werden. Ästhetischer Reiz zählt im Sport aber nur als Teil des Wettkampfs. Die Dramatik des Sports speist sich also aus einem realen Geschehen, nämlich daraus, dass etwas entschieden wird. 10. Der olympische Sport zelebriert das Welttheater als Theater der Welt. Er vollzieht sich auf der Bühne der Welt und kann unmittelbar begriffen werden. Die Wirkung als großes Schauspiel der Individualität hat die Olympiade aber nur, wenn sie sich an die selbstgesetzten Regeln des sportlichen Kampfes hält. Sie wirkt ästhetisch nur, sofern sie unter unbedingten ethischen Ansprüchen steht. Schiffer