MiSpEx: Systematische Analyse von Haltungen und Bewegungen des Rumpfes in verschiedenen Sportarten und Sportartengruppen (Parallelstudie 10)

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Bibliographische Detailangaben
Leiter des Projekts:Platen, Petra (Universität Bochum / Fakultät für Sportwissenschaft / Lehrstuhl Sportmedizin und Sporternährung, Tel.: 0234 32-24099 , petra.platen at rub.de)
Mitarbeiter:Felker, Katharina; Fett, Daniela
Forschungseinrichtung:Universität Bochum / Fakultät für Sportwissenschaft / Lehrstuhl Sportmedizin und Sporternährung
Finanzierung:Bundesinstitut für Sportwissenschaft (Aktenzeichen: 080102B/11-14)
Format: Projekt (SPOFOR)
Sprache:Deutsch
Projektlaufzeit:05/2011 - 12/2014
Schlagworte:
Online Zugang:
Erfassungsnummer:PR020141200065
Quelle:Jahreserhebung

Zusammenfassung

I Vorhabensziel:
1. die systematische Analyse von Haltungen und Bewegungen der Wirbelsäule, des Rückens und des Rumpfes in Training und Wettkampf und
2. die Erfassung und die Risikobeurteilung des Bewegungsausmaßes der Wirbelsäule und einzelner Wirbelsäulenabschnitte hinsichtlich Flexion, Extension, Lateralflexion und Rotation während sportartspezifischer Bewegungen.
II Methodik:
1. Trainings- und Wettkampfanalysen: Mit diesem Untersuchungsvorhaben sollen sämtliche sportartspezifische Bewegungsmuster während des Trainings und des Wettkampfes identifiziert werden. Durch videobasierte Wettkampf- und Trainingsanalysen sollen Kategoriensysteme dieser Bewegungsaktionen erstellt werden, die hinsichtlich Auftretenshäufigkeit und –dauer analysiert werden sollen. Es werden Filmaufnahmen hochklassiger internationaler sowie nationaler Wettkämpfe erstellt und auf bereits vorhandenes, allgemein zugängliches Videomaterial zurückgegriffen. Zusätzlich werden Trainingseinheiten der ausgewählten Sportarten gefilmt. Die anschließende Analyse des Videomaterials erfolgt mittels der Software Dartfish Team Pro 6, mit der zuverlässige Aussagen über Häufigkeiten und Dauer der einzelnen Bewegungsaktionen getätigt werden können.
2. Die Quantifizierung der mechanischen Belastung/Bewegung der Wirbelsäule erfolgt mittels kinematischer 3D-Bewegungsanalyse. Folgende Abschnitte der Wirbelsäule werden hinsichtlich Flexion, Extension, Lateralflexion und Rotation untersucht: Gesamte Wirbelsäule (C7-L5), HWS (C1-C7), gesamte Brustwirbelsäule (C7-L1), obere BWS (C7-Th6), untere BWS (Th6-L1) und LWS (L1-L5). Die Probanden/innen werden hierzu am Körper mit 70 lichtreflektierenden Markerpunkten versehen. Die sportartspezifischen Bewegungen werden von zehn Infrarotkameras aufgezeichnet, welche um den Bewegungsraum von etwa 3x3x3m³ aufgestellt werden. Die Datenauswertung erfolgt mithilfe der Analysesoftware Vicon Nexus und Microsoft Excel. Anhand der Ergebnisse erfolgt eine Risikobeurteilung der untersuchten sportartspezifischen Bewegungen über die Klassifizierung der BGIA (Hoehne-Hückstädt, 2007).
III Geplante Ergebnisverwertung: In Summe sollen die jeweils gewonnenen Erkenntnisse ein ganzheitliches Bild der Rückenschmerzproblematik und der physischen Belastungen in unterschiedlichen olympischen Sportarten zulassen und somit die Erarbeitung eines umfassenden Kataloges von Rumpf-Rückenbewegungen ermöglichen, der Rückschlüsse auf die Art der zu erwartenden Wettkampf- und Trainingsbelastungen zulässt.

(Zwischen)Ergebnisse

Auf Grundlage der vorausgegangenen Wettkampfanalysen wurden die wesentlichsten Bewegungsaktionen unter Laborbedingungen simuliert und mittels biomechanischer 3D-Analyse hinsichtlich funktioneller Anforderungen (Flexion, Extension, Lateralflexion, Rotation) begutachtet. Die Risikobeurteilung erfolgte über die DIN EN 1005-4 (Hoehne-Hückstädt et al., 2007), die die Bestimmung des Gefährdungspotentials verschiedener Winkel der Wirbelsäule und einzelner Wirbelsäulenabschnitte hinsichtlich Flexion, Extension, Lateralflexion und Rotation zulässt. Zur besseren Visualisierung wird hierbei ein Ampelsystem genutzt, welches die Bereiche je nach Risikopotential in einen „roten“, „gelben“ und „grünen“ Bereich (entspricht einem hohen, mittleren und niedrigen Gefährdungspotential) einteilt. In allen untersuchten Sportarten treten Bewegungen auf, die einem Risikobereich mit hohem Gefährdungspotential (roter Bereich) zugeordnet werden können. Im Wesentlichen kann anhand der Ergebnisse zwischen zyklischen Sportarten, Sportspielen, Rückschlagsportarten und sonstige (Kampfsport und Wurfdisziplinen) unterschieden werden. Zyklische Sportarten Die zyklischen Sportarten sind durch sich ständig wiederholende statische und dynamische Körperpositionen gekennzeichnet. In diesen Sportarten liegen die Bewegungsamplituden in Abhängigkeit von der Disziplin und der Wettkampfs- bzw. Trainingsdauer zum Teil bis zu mehreren Stunden im „roten“ Risikobereich. Insbesondere die starke Flexion der Wirbelsäule mit gleichzeitiger Hyperlordosierung der Halswirbelsäule beim Radfahren (Rennrad- und Triathlonrad), beim Eisschnelllauf und beim Rudern birgt ein hohes potentielles Risiko für Rückenschmerz. Besonders deutlich wird dies bei der Betrachtung des Flexionswinkels der Halswirbelsäule beim Radfahren auf dem Rennrad und auf dem Triathlonrad, der sich unabhängig von der Lenkerposition durchgängig im "roten" Risikobereich befindet (-52,1°± 11,0°). Die gesamte Wirbelsäule und die Brustwirbelsäule liegen während des Radfahrens sowohl auf dem Rennrad, als auch auf dem Triathlonrad im „gelben“ Risikobereich (WS: 49,0° ± 6,7°, BWS: 35,0°± 2,3°). Ihr Gefährdungspotential erhöht sich jedoch über die extreme Dauer, die die Sportler die Positionen auf dem Rad einnehmen. Sportspiele Die Sportspiele Handball, Fußball, Basketball und Hockey weisen durch ihr hohes Spieltempo, Krafteinwirkungen durch Gegnerkontakt, Richtungswechsel und wiederholte sportartspezifische Bewegungsformen wie Sprünge (z.B. Schlagwurf im Handball, Korbleger beim Basketball) oder problematischer Körperhaltungen (z.B. Flexion der Wirbelsäule beim Hockey, Halswirbelsäulenextension bei Korbleger im Basketball, Rotation und Extension der Wirbelsäule bei Würfen) ein hohes potentielles Risiko für Rückenschmerzen auf. Diese Gefährdungen werden durch die Überlagerung der Rotation mit der Flexion bzw. Extension verstärkt. Durch die biomechanischen 3D-Analysen wurden wiederholte kurzzeitige Winkelverläufe im „roten“ Risikobereich identifiziert, deren Risikopotential durch ihr hochfrequentes Auftreten verstärkt wird. Zusätzlich zu den sportartspezifischen Bewegungsmustern fällt auf alle diese Sportarten ein hoher Anteil läuferischer Tätigkeiten. Hierbei wirken vertikale Stauchbelastungen auf die Wirbelsäule, die in Abhängigkeit von der Dauer und der Intensität der Belastung zu degenerativen Veränderungen an Organsystemen führen können. Häufig befindet sich die Wirbelsäule während des Laufens im „gelben“ Risikobereich (Flexion), während sportartspezifischer Laufbewegungen (z.B. Dribbling beim Hockey) bei gleichzeitiger Extension der Halswirbelsäule. Rückschlagsportarten Die olympischen Rückschlagspiele Tennis, Badminton, Volleyball und Tischtennis wurden untersucht. Diese Sportarten weisen teilweise ähnliche Bewegungsmuster auf. Im Tennis, Badminton, Tischtennis und beim Volleyball (Angriffsaktionen einschließlich Aufschläge) werden der Körper und die Wirbelsäule stark einseitig belastet. Gerade in den Angriffsaktionen befindet sich die Wirbelsäule gleichzeitig in Lateralflexion, Extension und Rotation. Die Wirbelsäule ist hierbei asymmetrischen mechanischen Belastungen ausgesetzt. Zur Realisierung einer maximalen Ballgeschwindigkeit befindet sich das Achsenskelett am Ende der Ausholbewegung in einer starken Bogenspannung mit kombinierter Verwringung zwischen Oberkörper und Becken, welche sich als Hyperextension der Lendenwirbelsäule sowie Lateralflexion und Rotation zur Schlagarmseite auswirkt. Ebenfalls gemeinsam ist die auftretende Bogenspannung bei allen Schlägen, bei denen der Ball über Kopf getroffen wird. Hierbei werden eine starke Extension der Lendenwirbelsäule und der Halswirbelsäule hervorgerufen. Starke Flexionen lassen sich im Tischtennis und Volleyball (Bereitschaftsstellung, unteres Zuspiel) beobachten. Insgesamt ließen sich während der Analysen der Rückschlagspiele wiederholte kurzzeitige Bewegungen im „roten“ Risikobereich ausfindig machen. Vorwiegend traten viele kurzzeitige Bewegungen in starker Extension auf. Das Beispiel des frontalen Angriffsschlags im Volleyball verdeutlicht die zeitweise starke mechanische Beanspruchung der Wirbelsäule während des Spiels, insbesondere der Flexionswinkel der Halswirbelsäule, der sich zu 78,8% im „roten“ Risikobereich befindet (max. Extension: -46,8° ± 12,3°).