Leistungssport und Nationalsozialismus

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Bibliographische Detailangaben
Leiter des Projekts:Cachay, Klaus (Universität Bielefeld / Abteilung Sportwissenschaft / Arbeitsbereich Sport und Gesellschaft, Tel.: 0521 1062007)
Mitarbeiter:Mehl, Helmut; Balke, Steffen
Forschungseinrichtung:Universität Bielefeld / Abteilung Sportwissenschaft / Arbeitsbereich Sport und Gesellschaft
Finanzierung:Bundesinstitut für Sportwissenschaft (Aktenzeichen: 070402/95)
Format: Projekt (SPOFOR)
Sprache:Deutsch
Projektlaufzeit:01/1994 - 12/1996
Schlagworte:
Erfassungsnummer:PR019960105121

Zusammenfassung

Das Projekt versucht Zusammenhänge zwischen Sportsozialisation und Nationalsozialismus am Beispiel einer Gruppe von Sportlern einer süddeutschen Kleinstadt aufzuzeigen.
Nachtrag aus BISp-Jahrbuch 1996:
Ausgangspunkt hierfür bildet eine Sammlung von 319 Feldpostbriefen des Zweiten Weltkrieges, die 39 junge Leistungssportler an einen der führenden Repräsentanten ihres süddeutschen Sportvereins geschrieben haben. Diese, in ihrer sozialen Geschlossenheit relativ einmalige historische Quelle bietet Möglichkeiten, beispielhaft der Frage nach der Sozialisationsrelevanz des Vereinssports in nationalsozialistischer Zeit nachzuspüren. Insbesondere läßt sich hieran die subjektive Bedeutung der eigenen Sportsozialisation, der individuell verschiedene Grad ihrer Verschränkung mit der herrschenden Ideologie, aber auch der subjektive Stellenwert des Sports bei der Bewältigung der oftmals bedrückenden Kriegsrealität ablesen. Da die Briefe beinahe über den gesamten Zeitraum des Krieges datieren, lassen sich zudem Überlegungen hinsichtlich der Stabilität der den Stellenwert der eigenen Sportsozialisation umreißenden Einstellungen im Zeitverlauf anstellen.
Das Projekt "Leistungssport und Nationalsozialismus" versteht sich einerseits als sportspezifischer Beitrag zu einer allgemeinen historischen Sozialisationsforschung. Im Rahmen expliziter Sporthistoriographie beansprucht es darüber hinaus am Beispiel der Rekonstruktion der Sozialisationsbedingungen und -wirkungen eines kleinstädtischen Sportvereinsmilieus dem Forschungsdesiderat zum Sport im Nationalsozialismus auf der Ebene der Vereine abzuhelfen.

(Zwischen)Ergebnisse

Nachtrag aus BISp-Jahrbuch 1996: Die sozialgeschichtliche Rekonstruktion des Sozialisationsmilieus zeigt den untersuchten Turn- und Sportverein als mittelständisch-bürgerlich geprägte, deutsch-nationalen Traditionen verhaftete und über seine Führungspersönlichkeiten auch autoritär-militaristische Tendenzen transportierende Erziehungsinstanz innerhalb eines kleinstädtisch-protestantischen Raumes. Dennoch bietet dieser Sportverein - als eines der wenigen "modernen" Freizeitangebote - für ein sozial (relativ) umgrenztes jugendliches Klientel die Möglichkeit, die kleinstädtische "Enge" des - oftmals auch von religiöser Strenge geprägten - Elternhauses zu überwinden, ohne hierbei den eigenen "sozialen Ort" verlassen zu müssen. (Innerhalb der untersuchten Stadt steht den mittelständisch-bürgerlichen Schichten eine starke, kommunistisch orientierte Arbeiterschaft gegenüber.) Dem Aufkommen wie dem Zugriff des Nationalsozialismus bringt dieser Verein - außer "vereinsmeierischen" und lokalen Reserviertheiten - keinerlei Widerstand entgegen, ordnet sich vielmehr willig ein. Die Analyse der Briefe macht zunächst darauf aufmerksam, daß zwischen den einzelnen Autoren - nicht zuletzt auch aufgrund der Altersheterogenität und der recht unterschiedlichen Kriegseinsatzorte und -tätigkeiten - individuelle Unterschiede feststellbar sind. Gleichwohl gilt nicht nur für die jüngeren Sportler, daß sie gegenüber der weltkriegserfahrenen Autorität des Adressaten von sich das Bild des einsatzfreudigen Kämpfers zeichnen, wobei Motive des Sportlichen wie des Soldatisch-Kämpferischen zusammenklingen und nicht selten Anleihen bei NS-Propaganda und völkischer Ideologie gesucht werden. Eine eingehendere Analyse stützt allerdings die Vermutung, daß die explizite Übernahme der propagandistischen Floskeln der Masse nach zwar als Konformität mit dem Regime, weit weniger jedoch als politische Überzeugung verstanden werden muß. Bemerkenswert bleibt auch die Veränderung der Bedeutung des eigenen Sporttreibens im Verlauf des Krieges, insbesondere nach der Zäsur von Stalingrad. Denn während zu Beginn des Krieges bzw. des eigenen Kriegseinsatzes noch die Rolle des Sports als "Vorschule" des einsatzfreudigen Soldaten betont wird, schiebt sich mit zunehmender Dauer des heimatlichen Sportvereinslebens als Hort friedlicher, lokaler - und damit weitgehend privater - Existenz in den Vordergrund: Fluchtpunkt friedvoller Zukunftsvisionen nach einem der Realität zum Trotz weiterhin als "siegreich" prognostizierten Kriegsende. Insgesamt kann durch die Analyse der Feldpostbriefe der Stellenwert einer Vereinssportsozialisation im Nationalsozialismus beispielhaft bestimmt werden. Dieser liegt - wiederum der Masse nach - offenbar nicht so sehr in einer besonders tiefgreifenden "Ideologisierung" der sozialisierten Sportler, sondern vielmehr in dem stabilisierenden Moment, welches dem heimatlichen Sportbetrieb im Verlauf des Krieges in wechselnder Form zukam, indem die im Feld stehenden Soldaten hierauf ihre Identität ausrichten konnten. Die Kehrseite dieses stabilisierenden Moments bleibt es jedoch, daß es den Sportlern - auch aufgrund des überkommenen sozialisationsrelevanten Sportdiskurses - offenkundig bis zum "bitteren Ende" nicht möglich war, ihre regimekonforme Haltung abzulegen und zu einer kritischeren Einstellung gegenüber den Untaten des Nationalsozialismus zu gelangen. Das Projekt "Leistungssport und Nationalsozialismus" beleuchtet die Sozialisationsrelevanz des Vereinssports am Beispiel einer Gruppe junger Leistungssportler aus einem kleinstädtisch-bürgerlichen Traditionen verpflichteten Turn- und Sportverein Süddeutschlands. Inwiefern dieses Beispiel stellvertretend für den damaligen Vereinssportbetrieb steht, ist hiermit natürlich noch nicht geklärt. Dies zu leisten, bleibt dem Vergleich mit weiteren beispielhaften Untersuchungen vorbehalten. Gleichwohl bliebe aber selbst hierdurch noch eine der wesentlichsten Fragen unbeantwortet: diejenige nach der Spezifik einer Vereinssportsozialisation im Nationalsozialismus. Hierzu nötige Vergleiche mit den Sozialisationsprozessen in an anderen Inhalten orientierten Vereinen haben jedoch wiederum erst dann eine Chance zur Verwirklichung, wenn es der allgemeinen Geschichtschreibung gelungen ist, das zur Zeit noch vorherrschende "historiographische Loch" auf der Ebene lokaler Assoziationsmilieus zu stopfen. Für den Bereich der Sportvereine ist hierzu durch das vorliegende Projekt bereits ein erster Beitrag geleistet worden.