Urteilsstrukturanalyse bei sportlichen Bewegungen mit neuronalen Netzen

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Bibliographische Detailangaben
Leiter des Projekts:Göhner, Ulrich (Universität Tübingen / Institut für Sportwissenschaft, Tel.: 07071 296421)
Mitarbeiter:Eimert, Elisabeth
Forschungseinrichtung:Universität Tübingen / Institut für Sportwissenschaft
Finanzierung:Bundesinstitut für Sportwissenschaft (Aktenzeichen: 070609/94) ; Eigenfinanzierung
Format: Projekt (SPOFOR)
Sprache:Deutsch
Projektlaufzeit:01/1994 - 12/1994
Schlagworte:
Erfassungsnummer:PR019940104661

Zusammenfassung

Im Sport ist Urteilsbildung gefordert. Es wird geprüft, ob über die Theorie der neuronalen Netze - insbesondere Kohonen's selbstorganisierende Karte - die Trainerurteile über Bewegungsvollzüge rekonstruiert werden können. Dazu sollen Karten exemplarisch für Bewegungssituationen angelernt werden. Sie bleiben sich selbst überlassen, so daß sie sich selbst organisieren und Bewegungsklassen bzw. -kategorien bilden können. Diese selbstgelernte Klassenbildung wird mit den Trainerurteilen zu gleichen bzw. ähnlichen Bewegungssituationen verglichen. Ziel ist das Herausfinden von Übereinstimmungen. Vergleichbare Projekte liegen bislang nicht vor.

(Zwischen)Ergebnisse

Nachtrag aus BISp-Jahrbuch 1996: Als konkrete Lernaufgabe wurde für die KOHONEN-Karte festgelegt, verschiedene Realisierungen der Stoßauslage in der O'Brien-Technik zu klassifizieren und dabei auch die besseren von den schlechteren unterscheiden zu lernen bzw. verschiedene Ausführungen in die gefundenen Klassen einordnen zu können. Trotz einer zunehmenden Tendenz der Abkehr von der idealtypischen Leitbildtechnik ist man sich einig, daß in als optimal klassifizierten Bewegungsvarianten ein gemeinsamer Kern erkannt werden kann (TIDOW 1991, S. 15). Über Literaturanalyse und Trainerbefragung wurden die Merkmale ermittelt, über die die Bewegung zunächst erfaßt werden sollte. Diese Merkmale (kinematische Merkmale der Stoßauslage und Daten zur Konstitution der jeweils ausführenden Person) wurden der KOHONEN-Karte anschließend zum Lernen gegeben, so daß Karte und Trainer eine vergleichbare Grundlage für die Klassifikation der Bewegungen hatten. Die Daten für das Anlernen der Karte ergaben sich durch Analyse von Kugelstößen von 7 Sportstudentinnen und Sportstudenten. Des weiteren wurden von 4 Athleten des württembergischen Kugelstoß-Nachwuchskaders (16-18 Jahre) ebenfalls Aufnahmen erstellt. Diese Gruppe lieferte die Testdaten für die Karte. Mit Hilfe der Aufnahmen wurden Videoprints von der Stoßauslage erstellt. Aus diesen Prints und mit den Angaben zur Person wurden die Daten für die Lern- und Testvektoren für die KOHONEN-Karte ermittelt. Diese Vektoren setzten sich in unserem Fall aus 68 Komponenten zusammen. Die Position wurde über Merkmale wie die Raumpositionen, Gelenkwinkel, Lage von Körperteilen zueinander und Kugel- oder Körpermaße erfaßt. Dies erfolgte zum einen durch Digitalisierung der Videoprints und teilweise durch eine qualitative Bewertung mittels Expertenrating. Die Prints dienten weiter dem ausgewählten Trainer (A-Trainer und Diplomtrainer) als Vorlage zur Beurteilung der Realisierungen der Stoßauslage. Mit dieser Beurteilung (5-stufig skalierte Noten) wurden die Ausgabevektoren für die KOHONEN-Karte erstellt. Die Verläßlichkeit des Trainerurteils wurde dadurch überprüft, daß er jedes Bild zweimal beurteilen mußte. Die Reihenfolge der Bilder war zufällig verteilt. Zwischen beiden Beurteilungen ergab sich mit dem WILCOXON-Test in SPSS für Windows 6.0 ein Korrelationskoeffizient von 0.9431. Es wurden verschiedene KOHONEN-Karten unterschiedlicher Dimensionen angelernt. Die Darstellung der Ergebnisse ist für zweidimensionale Karten am übersichtlichsten sowie optisch nachvollziehbar und wird daher an dieser Stelle ausgeführt. Die nachfolgenden Ergebnisse beziehen sich auf einen Lernversuch einer 10x10 Karte mit 1.000 Lernschritten. Das Anlernen der Karte dauerte ca. 2 min und führte zu einer guten Organisation der Karte. Die Auswertung von KOHONEN-Karten erfolgt überwiegend graphischer Art. Die angelernte Karte wies eine gute Organisation auf, und die Daten wurden gut klassifiziert. Die Komponentenkarten zeigten sich ebenfalls als gut geordnet. Nachfolgend die ausführliche Darstellung und Begründung der Ergebnisse. Klassifikation/Clusterbildung: Für gut geordnete Karten gilt: Neuronen, die auf der Karte direkt nebeneinander liegen, repräsentieren Eingabevektoren, die sich relativ ähnlich sind. Die Ähnlichkeit bzw. Unähnlichkeit von nebeneinanderliegenden Neuronen wird über die euklidische Distanz zwischen diesen Neuronen ermittelt. Clustergrenzen sind an einer großen euklidischen Distanz zu den Nachbarneuronen und an "freien" Neuronen erkennbar. Vektorlagekarten zeigten, daß die gebildeten Cluster sich in zweifacher Weise interpretieren lassen. Einerseits sind deutlich die Personencluster der ausführenden Athleten erkennbar. Zum anderen liegen auf der Karte jeweils Neuronen bzw. Cluster nebeneinander, die dieselbe oder eine ähnliche Trainerbenotung aufweisen. Reproduktion des Trainerurteils für die "unbekannten" Testvektoren: Das Trainerurteil wurde für "sehr gute" Testvektoren nur unbefriedigend approximiert, was einen Grund darin hat, daß der Trainer bei den Lerndaten nur in einem Fall die Note "1" gegeben hat. Insbesondere die sehr guten Versuche der Testvektoren unterscheiden sich somit deutlich von den angelernten Vektoren, so daß sie nicht zufriedenstellend in die angelernten Kategorien eingeordnet werden können. In einem weiteren Lernversuch wurde eine Karte mit einem Teil der "Studentenversuche" angelernt und mit ihrem Rest bzw. den "Kader-Versuchen" getestet. Die Restdaten wurden nun von der Karte sehr gut approximiert, die "Kader-Versuche" wiederum nicht. Merkmalsextraktion aus den Komponentenkarten: Komponentenkarten repräsentieren die Ausprägung der verschiedenen Merkmale auf der angelernten Karte. Sie werden ebenfalls graphisch wiedergegeben. Je größer die optische Ähnlichkeit zwischen Komponentenkarten ist, um so größer ist die Korrelation der jeweiligen Merkmale. Zu den Ergebnissen: - Einige Trivialkorrelationen aus der Anthropometrie konnten nachgewiesen werden. Das war wichtig, um die Funktionsfähigkeit der Karten sichern zu können. - Einige Komponentenkarten zeigten einen Bezug zum Trainerurteil auf und bestätigen damit in der Literatur genannte Zusammenhänge zwischen Merkmalsausprägung und Qualität der Bewegungstechnik. - Eine Vielzahl der Gelenkpunkte wies eine Verteilung auf, die mit der Clusterbildung korrelierte. Insofern können sie bei weiteren Lernversuchen unberücksichtigt bleiben. Die Dimension des Raumes, der die Daten repräsentiert, kann somit reduziert werden auf wenige wesentliche Merkmale. Die Lernzeit wird ebenfalls deutlich verkürzt. Diskussion: Mit diesem Projekt wollten wir zunächst die Möglichkeiten, die im Einsatz und der Verwendung von neuronalen Netzen liegen, ermitteln. Die Karten waren in der Lage, die Information, die sie über Bewegungen erhalten haben, zu klassifizieren. Die KOHONEN-Karte hat sich dabei selbstorganisiert geordnet und hat Klassen gebildet, die einen Bezug zu den Beurteilungen eines Trainers über diese Bewegungen haben. Aufgrund der spezifischen Eigenschaften der KOHONEN-Karte konnte nach dem Lernen überprüft werden, aufgrund welcher Merkmale die Organisation zustande kam bzw. welche Merkmale für eine Klassifikation unbedeutsam sind. Die Lernergebnisse der KOHONEN-Karte bestätigen die Literatur- und Trainerangaben. Zu beachten ist, daß bei Bewegungsrealisierungen im unteren und mittleren Leistungsbereich meistens folgende Situation vorliegt: Einige Technikmerkmale können von den Athleten schon recht gut ausgeführt werden, es liegen jedoch auch häufig einige deutliche Fehler vor. Die Variationsbreite ist dabei relativ groß. Man kann nicht sagen, daß alle Merkmale ein bißchen weniger gut ausgeführt werden als bei den guten Athleten. Für die Randklassen, d.h. die sehr guten bzw. sehr schlechten Bewegungsausführungen, kann die Zuordnung des Urteils und einiger Merkmalsausprägungen relativ klar erfolgen. In den dazwischenliegenden Klassen ist eine Zuordnung zu Notenklassen in vielen Fällen nicht mehr eindeutig möglich. Die Grenzen des Analyseverfahrens liegen vermutlich nicht beim neuronalen Netz, sondern eher beim Erfassen der Information, die das Netz anlernen soll. Hier sollte man bemüht sein, möglichst viel Information zu erfassen, so daß das Netz die Auswahl von relevanten Merkmalen aus dieser Informationsmenge selber treffen kann. Wo liegen die weiteren Möglichkeiten der Anwendung der neuronalen Netze, insbesondere der KOHONEN-Karte? Neuronale Netze sind überall dort angemessen, wo eine große Anzahl von Variablen und Merkmalen in eine Beziehung gebracht werden sollen, diese Beziehungen aber linear nicht erwartet werden können, insofern also (klassische) statistische Verfahren nicht mehr genutzt werden können.