Sportwissenschaftliche Frauenforschung – bisherige Wirkung, heutiger Standort, künftige Aufgaben: Tagung der dvs-Kommission Frauenforschung in der Sportwissenschaft: (25.-27.5.95 Tecklenburg-Brochterbeck)

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Bibliographische Detailangaben
Autor:Firley-Lorenz, Michaela
Erschienen in:Ze-phir
Veröffentlicht:2 (1995), 2 (Frauen in der Sportwissenschaft - Frauenforschung?), S. 12-16
Format: Literatur (SPOLIT)
Publikationstyp: Zeitschriftenartikel
Medienart: Gedruckte Ressource Elektronische Ressource (online)
Sprache:Deutsch
ISSN:1438-4132, 1617-4895
Schlagworte:
Online Zugang:
Erfassungsnummer:PU201101000483
Quelle:BISp

Abstract

Als Einführung in das Tagungsthema gab Sabine Kröner (Münster) einen konzentrierten Überblick über bisher Erreichtes seit etwa 1983. Sie skizzierte für vier institutionelle Bereiche strukturelle und inhaltliche Wirkungen der sportwissenschaftlichen Frauenforschung. Erstens konstatierte sie für die dvs-Kommisionstagungen „Frauenforschung in der Sportwissenschaft“ (Köln 1992, Paderborn 1994, Brochterbeck 1995) im Anschluss an zwei Frauenforschungstagungen (Bielefeld 1987, Münster 1990) wachsenden Zuspruch der beteiligten Wissenschaftlerinnen. Zweitens bescheinigte sie dem ADH mit der Ausrichtung frauenparteilicher Kongresse und Workshops seit 1988 Vorreiterfunktion. Drittens wies sie auf wechselseitige Zusammenarbeit seit 1989 zwischen der Deutschen Sportjugend (DSJ), dem Deutschen Sportbund (DSB) und Frauenforscherinnen hin. Viertens merkte sie an, dass Frauenforscherinnen bei Tagungen und Hearings einiger Landesregierungen präsent waren, Frauenforschungstagungen seit Gründung der Kommission regelmäßig in Fachzeitschriften angekündigt und besprochen werden und seit 1992 eine neue Publikationsreihe sportwissenschaftlicher Frauenforschung „FrauenSportBewegung“ (herausgegeben von Kröner/Pfister) erschienen ist. Für „die Situation heute“ resümierte Kröner, dass in wissenschaftstheoretischer Hinsicht um die Kategorie „Geschlecht“ ein vehementer zwischen Kritik und Verteidigung verlaufender sozialwissenschaftlicher Diskurs ausgebrochen ist. Zudem bemerkte sie, dass die Koedukationsdebatte für den Sportunterricht auch durch die sportwissenschaftliche Frauenforschung gründlicher reflektiert und dass mit „separaten Räumen“ (z. B. frauenparteilicher Sportunterricht, Selbstverteidigungs-AGs etc.) experimentiert wird. Ihre Einführung schloss Kröner mit einem Blick auf die feministische alltags- und adressatinnenorientierte Praxisforschung in der schulischen und außerschulischen Sport- und Bewegungsarbeit ab, die Ihr zufolge dazu beigetragen hat, am männerorientierten Sportverständnis inhaltlicher und struktureller Art zu rütteln. Im ersten Referat skizzierte Hannelore Faulstich-Wieland (Professorin für Frauenforschung an der WWU Münster) mit dem Thema „Frauen und Wissenschaft – Review und Preview nach (fast) 20 Jahren Frauenforschung“ die politischen Ziele und die institutionellen und methodischen Folgerungen der Frauenforschung von der 1. Berliner Sommeruniversität 1976, als Beginn von Frauenforschung bzw. feministischer Wissenschaft in der Bundesrepublik Deutschland, bis heute. Ihre zentrale These für die Entwicklung wie Perspektiven der Frauenforschung lautete, dass eine ausschließliche Bezugnahme auf Frauen in letztlich nicht lösbare Widersprüche führt. Die Annahme einer Zweigeschlechtlichkeit als Konstruktion veranlasst dazu, den Blick auf das Geschlechterverhältnis richten, wodurch dann auch wieder die Verbindung von politischer Zielsetzung und kritischer Wissenschaft hergestellt werden kann. In ihrem Referat zum Thema „Theoretische Prämissen einer Geschlechterforschung in der Sportwissenschaft“ griff Gabriele Klein (Hamburg) die Diskussion um die kulturelle Konstruktion der Kategorie Geschlecht auf und reflektierte diese für die Geschlechterforschung in der Sportwissenschaft. In einem kurzen Rückblick auf die Frauenforschung der 80er Jahre stellte Klein auch für die sportwissenschaftliche Frauenforschung die methodisch-inhaltliche Fokussierung auf das Geschlecht im Sinne von „gender“ fest. Sie skizzierte vier verschiedene Aspekte der sozialwissenschaftlichen Geschlechterforschung und leitete Folgendes ab: 1. „Geschlecht als soziales Konstrukt“: Die Geschlechterforschung im Sport könnte z. B. der Frage nachgehen, wie, warum, durch wen usw. das soziale Feld des Frauensports auf der einen und des Männersports auf der anderen Seite immer wieder diskursiv hervorgebracht wird. 2. „Betrachtung von Heterogenitäten statt Homogenitäten“: Eine Analyseebene betrifft die Unterschiede sowohl zwischen Frauen als auch zwischen Männern und Frauen unter dem Aspekt der Machtbalancen in den Institutionen, die andere unter demselben Aspekt in den Interaktionen im Sport. Fragestellungen zum ersten Bereich wären z. B. die nach klassen- und geschlechterdifferenzierten Trägergruppen politischer und ökonomischer Machtverteilungen innerhalb einzelner Verbände, nach informellen Zugangsregeln usw.. Fragen zum zweiten Bereich könnten wie folgt lauten: Gibt es verschiedene soziale Habitusformen in den einzelnen Sportarten, die eher durch die soziale und symbolische Ordnung der jeweiligen Sportart bedingt sind als durch geschlechtstypische Verhaltensmuster? 3. „Interaktive (Re)Produktion des Systems der Zweigeschlechtlichkeit“: Hier könnte die Frage lauten: Sollte man bei der Untersuchung der Karrieren von Leistungssportlerinnen nicht eher von der These der „Selbstbildung in kulturellen Praktiken“ ausgehen, als diese Frauen als Opfer eines männlichen Leistungssystems zu definieren? Mit dem anschließenden Kapitel über „Körper und Geschlecht in der sportwissenschaftlichen Forschung“ leitete Klein zu einer Kritik an der Frauenforschung über, die in den Appell einmündete, die bisherigen theoretischen Prämissen der Frauenforschung im Sport zu überdenken und andere Wege der Produktion von Wissen über Körper und Geschlecht zu beschreiten, mit denen nicht an der diskursiven Hervorbringung der zweigeschlechtlichen Ordnung mitgewirkt wird. In ihrem Referat mit dem Titel „‚Typisch männlich – typisch weiblich’ – Geschlecht in der Methodendiskussion“ zeichneten Petra Gieß-Stüber (Köln) und Ulrike Henkel (Münster) an beispielhaften empirischen Arbeiten Entwicklungen in der sportwissenschaftlichen Frauenforschung seit 1976 nach und setzten diese in Beziehung zur sozialwissenschaftlichen Methodendiskussion. Die Sportwissenschaft wurde als eine sich noch vorwiegend auf naturwissenschaftliche Denkmodelle beziehende und dabei quantifizierende Forschung bevorzugende Wissenschaftsdisziplin gekennzeichnet. Geschlecht als unabhängige Variable ist allgemein inzwischen in die meisten Forschungsprogramme integriert, wird als theoretische bzw. soziale Kategorie jedoch noch selten diskutiert. Erst wenige qualitative Studien fundieren die feministische Androzentrismuskritik. Als Fazit konnte nicht ‚die’ feministische Methode angeboten werden. Vielmehr unterscheiden sich Frauenforscherinnen durch den „Blick“ auf die Realität von anderen Forschenden und verfolgen so andere Problemstellungen, haben andere Forschungsziele. Gieß-Stüber und Henkel empfahlen, dass vor allem unter der Perspektive der Dekonstruktion der Geschlechterverhältnisse auf dem „Weg“ zum Erkenntnisgewinn alle verfügbaren Verfahren ausgelotet und genutzt werden sollten. Claudia Kugelmann (Nürnberg-Erlangen) referierte zum Thema „Koedukation im Sportunterricht – die Diskussion geht weiter“. Sie betrachtete die sportwissenschaftliche Koedukationsdebatte der letzten 20 Jahre und stellte Aspekte aus ihrer neuesten Arbeit zu Lösungsansätzen der Koedukationsproblematik vor. Da die Individuen selbst an der Konstruktion der Geschlechterverhältnisse mitbeteiligt sind, können sie Kugelmann zufolge auch individuell zu deren De-Konstruktion etwas beitragen. Der koedukative Sportunterricht ist für Kugelmann ein geeigneter Ort, geschlechtsstereotype Leibbilder und Bewegungsmuster und deren Bewertung kenntlich und fragwürdig (zu) machen und mit neuen (zu) experimentieren. In diesem Zusammenhang hob sie zwei Aspekte besonders hervor: zum einen die Berücksichtigung der je individuellen Wahrnehmung von Bewegungssituationen der Lernenden, zum anderen die Lehrperson. Schiffer (unter Verwendung wörtlicher Textpassagen)