Sportwissenschaftler oder Mutterwissenschaftler – das ist hier die Frage

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Bibliographische Detailangaben
Autor:Thiel, Ansgar
Erschienen in:Ze-phir
Veröffentlicht:5 (1998), 1 (Fit für die Zukunft), S. 18-20
Format: Literatur (SPOLIT)
Publikationstyp: Zeitschriftenartikel
Medienart: Gedruckte Ressource Elektronische Ressource (online)
Sprache:Deutsch
ISSN:1438-4132, 1617-4895
Schlagworte:
Online Zugang:
Erfassungsnummer:PU201011009082
Quelle:BISp

Abstract

Bei dem Streit um die Frage nach der Qualifikation, die Bewerber auf freie Professoren-, Rats- und Qualifikationsstellen an sportwissenschaftlichen Instituten aufweisen sollten, sind drei unterschiedliche Positionen zu finden: Die erste Gruppe fordert, dass die Stellen nur Personen mit abgeschlossenem sportwissenschaftlichen Hochschulstudium zugänglich sein sollten. Die zweite Gruppe fordert, dass der Zugang für Akademiker aller Fachrichtungen offen stehen sollte, solange ihr wissenschaftlicher Werdegang einen deutlichen Bezug zur Stellenausschreibung aufzeigt. Neben diesen beiden scheint es darüber hinaus eine dritte Gruppe zu geben, die es für notwendig hält, dass die Bewerber auf eine Stelle an einem sportwissenschaftlichen Institut über einen Abschluss in der Mutterwissenschaft der betreffenden Teildisziplin verfügen. Diese Richtung wird augenblicklich offenbar am entschiedensten von Vertretern der Sportpsychologie und ihrer Arbeitsgemeinschaft favorisiert. Einige dieser Gruppe gehen sogar so weit, dass sie die Qualifikation in der Mutterwissenschaft für wichtiger erachten als eine sportwissenschaftliche, auf letztere kann ihrer Meinung nach sogar verzichtet werden. Im Grunde geht es in der Diskussion um die Frage nach „Öffnung oder sozialer Schließung“ der sportwissenschaftlichen Forschung und Lehre an sportwissenschaftlichen Instituten. Die nähere Betrachtung zeigt zunächst, dass zwei Gruppen eine Strategie im Sinne von Webers Begriff der „sozialen Schließung“ verfolgen: Sie versuchen, den zugangsfähigen Bewerber gegen andere Mitbewerber, welche durch ein gemeinsames positives oder negatives Merkmal gekennzeichnet sind (nämlich die wissenschaftliche Bearbeitung von Inhalten, die mit der Stelle zusammenhängen, durch den Bewerber), abzugrenzen, indem sie eine bestimmte formale Qualifikation als Zugangsvoraussetzung fordern. Das Überraschende ist nun allerdings, dass die beiden „Schließungs-Gruppen“ bei ihren Abgrenzungsversuchen Argumente verwenden, die in ihren Aussagen einander diametral entgegengesetzt sind. So behauptet die erste dieser beiden Gruppen, dass es unter den Absolventen sportwissenschaftlicher Studiengänge nicht genügend Personen gibt, die für die Besetzung einer frei werdenden. Stelle qualifiziert wären. Häufig wird diese Behauptung durch die Aussage ergänzt, dass nur Personen mit abgeschlossenem mutterwissenschaftlichem Studium in der Lage seien, entsprechende Fragestellungen adäquat zu bearbeiten. Für diese Vertreter hat das mutterwissenschaftliche Studium offensichtlich mehr Bedeutung als das sportwissenschaftliche. Die „Öffnungsgruppe“ unterscheidet sich von der ersten „Schließungsgruppe“ im Grunde nur darin, dass sie ein mutterwissenschaftliches Studium nicht zur Grundbedingung für den Zugang zu einer sportwissenschaftlichen Stelle macht. Sie fordert aber, dass sportwissenschaftliche Stellen auch Mutterwissenschaftlern ohne sportwissenschaftlichen Abschluss offen stehen müssen. Dies wird nicht nur mit dem Argument der Chancengleichheit, sondern zum einen häufig damit begründet, dass die Mutterwissenschaft eine größere Auswahl an potentiell für die jeweilige Stelle geeigneten Bewerbern bieten würde. Zum anderen ist auch bei dieser Gruppe immer wieder folgendes Argument zu hören: Bewerber, die nur über einen sportwissenschaftlichen Abschluss verfügen, können sich das für die Bearbeitung sportwissenschaftlicher Fragestellungen mit mutterwissenschaftlichen Theorien notwendige Wissen im Sportstudium und im späterem Ausbildungsgang nicht in der selben Breite aneignen wie die Mutterwissenschaftler. Auch hier scheint letztendlich das mutterwissenschaftliche Studium wichtiger zu sein als das sportwissenschaftliche. Die zweite „Schließungs-Gruppe“, die einen sportwissenschaftlichen Hochschulabschluss als Grundbedingung für eine Bewerbung um eine freiwerdende Stelle an einem sportwissenschaftlichen Institut fordert, widerspricht dieser Denkweise. Das Problem, so die Vertreter dieser Gruppe, sind nicht die Inhalte. Aus ihrer Sicht ist es sogar unwahrscheinlich, dass man sich in einem Studium der Mutterwissenschaft die gleiche Menge an Fachwissen aneignen kann wie in den Arbeitsphasen der Dissertation und Habilitation, solange diese einen mutterwissenschaftlichen Bezug haben. Dagegen hält die Öffnungsgruppe es für äußerst problematisch, wenn man Absolventen in einem akademischen Studium ausbildet (und sie somit für Promotion usw. qualifiziert), ihnen später allerdings den Zugang zu einer Universitätskarriere dadurch erschwert, dass dieses akademische Studium für die Arbeit an der Hochschule nicht mehr auszureichen scheint. Dies, so die Kritiker, sei in der universitären Landschaft beispiellos. In keinem anderen Fach würde von den Absolventen verlangt, dass sie zu ihrem Studium noch etwas anderes dazu studieren müssen, wenn sie Karriere an der Hochschule machen wollten. Darüber hinaus hätten die Sportwissenschaftler in anderen Fächern prinzipiell keine Chance, auch wenn sie qualifiziert seien. Kurz gesagt: Eine Öffnung der Stellen in der Sportwissenschaft für Mutterwissenschaftler ohne sportwissenschaftliches Studium wird von der zweiten „Schließungs-Gruppe“ abgelehnt. Diese Gruppe geht sogar soweit zu behaupten, dass mit einer solchen Öffnung die Verpflichtung zum Schutz der Berufschancen der eigenen Absolventen des Faches Sportwissenschaft sträflich vernachlässigt wird. Ihre Argumente sind insofern überzeugend, als sich die Absolventen sportwissenschaftlicher Studiengänge bei frei werdenden Stellen in der Sportwissenschaft mit Bewerbern aus anderen Disziplinen herumschlagen müssen. Andererseits brauchen sie sich angesichts der Reputation der Sportwissenschaft in der scientific community ohne einen entsprechenden Studienabschluss gar nicht erst auf fachfremde Stellen bewerben, da sie ohnehin keine Chance haben. Hinzuzufügen ist, dass die Professoren, die einerseits Sportpsychologen, Sportsoziologen, Sportpädagogen usw. ausbilden, andererseits ihre Stellen aber Psychologen, Soziologen und Pädagogen ohne sportwissenschaftlichem Studium öffnen, Folgendes nicht bedenken: Durch die Behauptung, die von ihnen selbst ausgebildeten Leute seien nicht in der Lage, frei werdende Stellen adäquat zu besetzen, desavouieren sie nicht nur ihr Fach „Sport....“, sondern letztendlich auch ihre eigene Fähigkeit als Ausbilder. Schiffer (unter Verwendung wörtlicher Textpassagen)