Das Flaschenhalssyndrom. Zur Problematik globalisierter Spielermärkte und natio-naler Auswahlmannschaften

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Autor:Cachay, Klaus; Riedl, Lars
Erschienen in:Verschwinden nationale Auswahlmannschaften in einer "offenen" Gesellschaft? Folgen einer von Vereinsinteressen geleiteten Liga-Politik und ihre Auswirkungen auf die Nachwuchsförderung. Dokumentation des Workshops am 25. Januar 2001 im Deutschen Olympischen Institut (DOI) in Berlin
Veröffentlicht:Köln: Sport u. Buch Strauß (Verlag), 2001, S. 13-24, Lit.
Format: Literatur (SPOLIT)
Publikationstyp: Sammelwerksbeitrag
Medienart: Gedruckte Ressource
Sprache:Deutsch
Schlagworte:
Online Zugang:
Erfassungsnummer:PU200210003022
Quelle:BISp

Abstract

Als Folge des "Bosman-Urteils" des Europäischen Gerichtshofs vom 15.12.1995 entstand geradezu eine Völkerwanderung ausländischer Spieler in die deutschen Spitzenliegen, denn die deutschen Vereine konnten nunmehr geradezu unbegrenzt ausländische Top-Spieler einkaufen. Dies führte komplementär zu einer Minimierung einheimischer Spieler, insbesondere einheimischer Nachwuchsspieler. Im Eishockey lag der Ausländeranteil in der Saison 98/99 sogar so hoch (66,8 %), dass man sich entschloss, ab der Saison 99/00 die Zahl ausländischer Spieler pro Mann-schaft wieder schrittweise zu reduzieren. Vor dem Hintergrund dieser Entwicklung wird in diesem Beitrag (1) nach den Gründen für die Rekrutierung ausländischer Spieler gefragt, (2) wird die sportliche Situation der Nachwuchsspieler in den Bun-desligen beleuchtet, (3) werden die Ziele der Nachwuchsspieler dargestellt, (4) wird etwas zum Stellenwert der Nachwuchsförderung in den Vereinen gesagt und (5) wird das Verhältnis von Verband zu den Vereinen reflektiert. Zu (1): Die Vereine verpflichten Ausländer, (a) weil es nach Einschätzung der Manager und Trainer nicht genügend leistungsstarke deutsche Spieler auf dem Markt gibt und weil (b) Die Gehaltsforderungen ausländischer Spieler zumindest in einigen Sportarten im Vergleich zu gleichstarken deutschen Spielern geringer sind. Hinsichtlich der Chancen der Nachwuchsspieler, in den Bundesligen Fuß zu fassen, ist jedoch nicht nur von Be-lang, dass durch den Ausländer-Boom Plätze in den Bundesligen blockiert werden, sondern es ist vor allem das gestiegene Leistungsniveau ist, das ihre Chancen reduziert. Zu (2): Deutsche Nachwuchsspieler werden in den Spielen kaum eingesetzt, können also keine Spielpraxis in der Bundesliga erwerben. Die Vereine sind auch gar nicht mehr darauf angewiesen, ihre eigenen Spieler langfristig zu entwickeln, sondern sie können sich auf den globalisierten Spielermärkten bedienen und die Spieler genau nach ihrer aktuellen Bedarfslage verpflichten. Die Integration der Nachwuchsspieler in den ersten Mannschaften ist somit zum zentralen Folgeproblem des "Bosman-Urteils" geworden. Zu (3): Als Konsequenz dieser Entwicklung haben ca. 20 % der Nachwuchsspieler gar nicht mehr das Ziel, Stammspieler in der Bundesliga zu werden. Die Nachwuchsspieler sind grundsätzlich kaum noch bereit, für den Leistungssport Nachteile in der Schul- und Berufsausbildung in Kauf zu nehmen. Zu (4): Trotz der globalisierten Spielermärkte und der Schwierigkeiten bei der Integration von Nachwuchsspielern haben die Vereine weder ihre Investitionen in die Nachwuchsförderung gesenkt noch hat die Nachwuchsförderung an Bedeu-tung verloren. Diese auf den ersten Blick paradoxe Tatsache, passt jedoch insofern zu der Entwicklung, als die Vereine mit der Nachwuchsförderung nicht nur eine sportliche Funktion verbinden, sondern auch Umwelterwartungen erfüllen und versuchen, Ressourcen zu mobilisieren. Intensive Nachwuchsförderung und Eigenge-wächse, die in der ersten Mannschaft spielen, fungieren gewissermaßen als Marketingstrategien, mit denen sich die Sponsoren besser präsentieren können. Darüber hinaus ist diese Strategie für die Bindung des Publikums an den Verein sinnvoll, da im Falle des sportlichen Misserfolgs bei zusammengekauften Mannschaften ein grö-ßeres Risiko besteht, dass die Zuschauer wegbleiben. Die Vereine stehen - anders formuliert - vor dem Problem der "Glokalisierung", das heißt, sie müssen globale und lokale Strukturen miteinander verbinden. Während sie sportlich global operieren und weltweit Spieler verpflichten, müssen sie gleichzeitig regionale Sponsoren und das lokale Publikum an sich binden. Zu (5): Vor dem "Bosman-Urteil" waren die Interessen der Vereine und Verbände gleichermaßen darauf ausgerichtet, möglichst viele leistungsstarke Spieler hervorzubringen, denn man rekrutierte aus dem gleichen Spielerpool. Jetzt jedoch können die Vereine global rekrutieren, während die Verbände weiterhin national verpflichten müssen. Die Vereine brauchen nicht mehr nur die Früchte der nationalen Nachwuchsförderung zu ernten, die Verbände schon. In dieser Situation können die Verbände die Vereine lediglich argumentativ auf die Bedeutung der Nationalmannschaften für ihre eigene Vermarktung hinweisen. Sie können weiterhin Rahmenbedingungen für eine effektivere Nachswuchsförderung und finanzielle Anreize zur Einrichtung entsprechender Strukturen in den Vereinen schaffen. Sie können den Vereinen aber kaum etwas vorschreiben. Diese entscheiden letztlich selbst darüber, ob und in welchem Maße sie effektivere Strukturen der Nachwuchsförderung etablieren. Schiffer